Atlantis
Oft fanden wir während der Bergungsarbeiten Kleidungsstücke mit eingenähten, kaum fingerkuppengroßen Säckchen. Sand war darin. Nur das – Sand. Mal war er gelb, mal trübweiß, mal rosa, auch lila oder grün, niemals nur grau, dann eher metallisch, einmal von gleißendem Schwarz. Wie sich herausstellen sollte, handelte es sich dabei um Heimaterde von Ertrunkenen. Sand, der bei den Havarien mit hinabgerissen wird und der jetzt auf dem Meeresboden siedelt. Noch ein Säckchen und noch eines, immer noch eines, zu einem neuen Land zusammenkommend, auf dessen Feldern bunt die Ähren stehen werden für Laiber von ungekannter Süße und Schar.
Köln
Vor dem Feinkostladen sitzt unter einem Baum seit Wochen ein Penner. In der Auslage gibt es Biskuits und gebratene Tauben, Hefezöpfe, Käselaibe, fette Milch, Lebkuchen und Lakritz, Zuckerblätter und Bierfässchen und Gelees und Ambrosia. Jedes Mal, wenn man vorbeigeht, ruft der Mann: "Please, Madame, please. – Please, Madame..." Eben komme ich vom Markt. Wieder sitzt er vor dem Laden. Heute aber ist geschlossen. Gleichwohl höre ich ihn reden, dabei kann er mich nicht sehen. Es ist auch sonst niemand da. Im Vorbeifahren meine ich, er rufe sich selbst an. Ich streife meine Kapuze ab. Die Stimme, die zu hören ist, kommt von einem Sittich.
Johanna Dombois, März 2020 (Orginalbeiträge)